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Autorenbildkatelijne7

Warmlaufen

Die Rechtsanwälte können schon mal anfangen, sich warmzulaufen, so die belgische Radiosprecherin. Durch die Ausgangssperre wird der freie Verkehr von Personen und Gütern innerhalb der EU nicht mehr gewährleistet. Man darf das Haus nur für die nötigsten Einkäufe oder für den Arztbesuch verlassen, und man darf ohne triftigen Grund die Grenze nicht mehr überqueren, das ist eigentlich gesetzwidrig.

Heute wäre die Flandern-Rundfahrt, das meist populäre Radrennen in Belgien.

Nachdem Odiel Defraeye 1912 als erster Belgier die Tour de France gewonnen hatte, überzeugte er einen flämischen Zeitungsverleger, zuhause auch so einen Wettbewerb zu veranstalten.

Die Idee wurde sofort umgesetzt, so dass 1913 zum ersten Mal die Flandern-Rundfahrt stattfand. Am Anfang war der Wettbewerb noch recht unbekannt und er wurde nach 2 Jahren vom ersten Weltkrieg schon wieder unterbrochen.

Jedoch konnte der 2. Weltkrieg das radsportverrückte Flandern nicht mehr kleinkriegen. Während ganz Europa in Gewalt, Bomben und Flammen unterging, kämpften die Sportler an ihrer eigenen Front. Sie wollten das größte Volksfest Flanderns nicht mehr aufgeben. Kurz wurde das ganze Elend, die Unsicherheit und die unfassbare Gewalt beiseite geschoben, um den Sport zu feiern.

Bis in die 1960-er Jahren war nicht einmal die Hälfte der 250 km langen Strecke asphaltiert oder betoniert. Die Sportler hatten Kopfsteinpflaster und Feldwege zu meistern. Jetzt sind diese unebenen Wege genau das, was man haben will, und die wenigen Kilometer Kopfsteinpflaster werden heutzutage gepflegt und instand gesetzt. Sie werden gehütet wie ein teurer Schatz. Auf diesen Wegen findet Anfang April die meist pure Form eines Sportfestes statt. Man nennt es auch Flanders‘ Finest.

Eine von den Strecken, wo noch Kopfsteinpflaster liegt, geht über den Koppenberg, der nur 600 m lang ist. Dort müssen 64 Höhenmeter überwunden werden, die Steigung beträgt bis zu 22%. Das malerische Dörfchen drumherum verwandelt sich am ersten Samstag im April in einen Olymp. Tausende Zuschauer, eine fast unmögliche Aufgabe. Viele Radfahrer stürzen und reißen ihre Teamkollegen mit, die Fahrer dahinter werden so gezwungen, abzusteigen. Irgendwie kämpfen sich alle mit ihren Rädern den Hang hoch, Tränen, Blut und Schweiß fließen in Strömen, das Publikum dreht durch.

Nicht so in diesem Corona-Frühling. Anders als im zweiten Weltkrieg fällt das Radrennen heute aus.

Sie können die Flandern-Rundfahrt virtuell verfolgen, im Fernsehen, und auf Ihrem Home-Trainer können Sie bestimmte Strecken mitfahren, versucht man die Fans zu beruhigen und zu Vernunft zu bringen.

Dennoch fährt die Polizei einen Großeinsatz, denn sie weiß, wie begeistert das Publikum ist. Auch wenn das Radrennen nur virtuell stattfinden kann, sind ganze Gruppen motiviert, an die Strecke zu reisen und dort zu stehen, wo sie jedes Jahr stehen. Traditionen lässt man nicht einfach fallen, ein Hometrainer ist keine Alternative.

Es gibt heute das schönste Frühlingswetter, das man sich vorstellen kann. Ich denke an die Leute in den Krankenhäusern. An die Patienten, die fast nicht mehr atmen können, an die Personen, die dort arbeiten, untersuchen, betreuen, entscheiden müssen. Entscheidungen treffen, die keiner für möglich gehalten hätte. Es ist vielleicht wie im Krieg, wenn plötzlich viel zu viele Leute medizinische Notversorgung brauchen. Tag und Nacht im Lazarett, kein Ende im Sicht.

Heftige Vorwürfe von Italien, dass Deutschland zu wenig Geld schickt, auch wenn hunderte Italiener dort intensivbehandelt werden. Alte Wunden reißen auf, der Krieg ist plötzlich wieder da. Die Wirtschaft ist erstarrt, die Welt ist in Shock.

In den Nachrichten gibt es immer neue Schreckensmeldungen.

Aber auch Lichtblicke. Junge Leute, die in ihrer Gin-Destillerie auf Spendenbasis Desinfektionsmittel herstellen, und dies an Pflegedienste weitergeben, wie Wanderer in Frechen https://www.wanderer-destillerie.de/corona

Geschäftsführer von Supermärkten, die für die zweite Packung WC-Papier 5 Euro mehr berechnen und für die dritte Packung noch mal 10 Euro mehr. Das Geld wird gespendet. Restaurants, die ihre Küche weiterhin aufhaben für den Verkauf außer Haus oder auch für bedürftige Menschen. Eine befreundete Dame, die jeden Tag Essen für einen Obdachlosen kocht, und es ihm im Park an eine bestimmte Stelle hinstellt. Die Feuerwehr, die mit Musik durch die Straßen fährt und verkündet, dass man nicht alleine ist, man kann einfach 112 anrufen.

Die Natur erwacht, sie lässt sich nicht beirren. Sie bereitet sich vor. Viele Menschen werden sich trennen, vom Partner oder vom Leben. Es wird viel Trauer geben, aber auch Hoffnung. Jetzt, wo keine Sportler ihre Hochleistungen zeigen, können wir die im Dauereinsatz tätigen Helfer unterstützen, sponsern und bewundern.

Die Bäume kriegen einen grünen Schleier und die Vögel waren noch nie so laut. Nachbarn nehmen einander plötzlich wahr. Kinder lernen endlich ihre Eltern kennen. Unnötige Sachen müssen nun nicht gekauft werden. Lingerie feiert Hochkonjunktur, man entdeckt wieder Sinnlichkeit und Phantasie.

Rechtanwälte laufen sich schon mal warm.

Oder sie sitzen in Quarantäne auf dem Hometrainer, verfolgen die Flandern-Rundfahrt und denken an den freien Verkehr.

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