Braucht ihr Hilfe? so die Plattenverkäuferin in einem kühlen Ton. Ich stehe in einem Laden im Karolinenviertel und unterhalte mich mit einem Mann über eine Jazzplatte. Nein, hier brauche ich keine Hilfe. Der Mann hat einen schönen Mund und schiefe Zähne, darauf stehe ich, sie soll sich da raushalten. Übrigens sind die Platten hier einfach zu teuer, dafür, dass sie schon gebraucht sind. Der Laden ist gehyped und im coolsten Viertel der Stadt, hier muss man hin. Ich sehe fragend den Mann an. “Zu teuer” meint er, ich lache.
Wir gehen raus, ich rufe “tschüss”, die Verkäuferin ignoriert uns. Sie unterhält sich mit einem DJ.
Ob wir noch einen Kaffee trinken zusammen? Wir gehen eine Runde über den Domplatz und beobachten, wie die Fahrgeschäfte für den Winterdom aufgebaut werden. Damit sie später funktionieren können, müssen die Vorrichtungen absolut gerade stehen, mit kleinen Plättchen wird die Höhe ausgeglichen. Es ist unglaublich, wie alt diese fliegenden Bauten schon sind, und wie technisch perfekt das Aufbauen ausgeführt wird. Die Schausteller verrichten mit geübten Handgriffen ihre Arbeit, kurze Anweisungen schallen über den weiten Platz neben dem Stadium.
Es wird langsam kalt, die Sonne steht tief. Sie strahlt gerade noch den Fernsehturm und das Gerichtsgebäude an. Dort oben in dem runden Turm hätte man eine perfekte Sicht über die Stadt. Eigentlich noch besser als Achterbahn fahren.
Ob das auf dem Karussell oder auf dem Riesenrad kalt ist im Winter, so frage ich mich. Und hat man dann hier eine Weihnachtsmarkt-Atmosphäre? Es ist bestimmt schön, wenn die zig-tausenden Lichter brennen, die Kinder dick eingepackt sind, mit ihren Eltern und Großeltern über den Dom gehen. Wenn die Atemluft kleine Wölkchen aufsteigen lässt, so dass man von weitem die gesprochenen Worte lesen kann, wie schön es ist heute, hier. Der Winterdom ist feierlicher als der Sommerdom, so finde ich.
Von überall kommen jetzt Blaulichter, sie reihen sich schnell und geschickt auf dem Domplatz auf. Sankt Pauli spielt heute Abend, die Freibeuter versammeln sich schon, der Mann setzt die Mütze auf, zieht seinen Fußballschal hoch. Wir verabschieden uns, er läuft Richtung Stadium. Ich sehe ihn nach, seine hagere Figur zeichnet sich gegen die Abendluft ab, einige Jazzklänge bleiben zurück, eine leise Ahnung.
Wie ist er wohl, wenn er aufsteht? Wie riecht er nach einer Nacht? Wie fängt für ihn ein ganz normaler Arbeitstag an, wenn der Wecker klingelt? Ist er alleine im Bett, in einem Sankt Pauli Schlafanzug, sind Kinder da, die in die Schule müssen? Frühstück, eine Zigarette, nur Kaffee vielleicht. Muss das Auto aus der Garage geholt oder draußen gesucht werden? Ich stelle mir ihn vor, noch halb schlafend, fluchend im Halbdunkel rennt er die Straße entlang. Jacke offen, Tasche unterm Arm, ein Hosenbein noch halb in der bunten Socke. Ich stelle mir vor, wie er zur S-Bahn rennt, stehend eine halbe Stunde in die Stadt hinein fährt, zwischen hunderten weiteren Personen. Die Gerüche vermischen sich, er sehnt sich nach einem Kaffee. Er wird den ganzen Tag beschäftigt sein, etwas schreiben, die Stadt zeichnen oder Brücken bauen. Leute beraten, Vorträge halten, etwas verkaufen vielleicht.
Abends wieder nach Hause kommen, sich umziehen, eine Schallplatte auflegen.
Die Sonne ist weg, es ist dunkel und es friert schon, ich gehe an den Plattenladen vorbei, die Verkäuferin schließt gerade das Geschäft ab, sie wird von einer Frau in einem schönen langen Wollmantel und Wildlederstiefeln abgeholt. Ich grüße sie, sie antwortet nicht, hat mich nicht gesehen, sie erzählt gerade über ihren Tag. Ich gehe noch kurz in die Karo-Ecke rein, einen heißen Tee trinken. Nebenan im Millerntorstadium gibt es fast 30.000 Plätze, die Mannschaft hat 35 Spieler, Durchschnittsalter 25,4. Heute sind die Hessen zu Besuch. Man kann das Spiel gut hören.
Ich trinke Tee, die Musik stimmt, es ist Jazz von der Jazzkantine. Ich nehme eine Zeitung, schaue, was in Hamburg sonst so los ist.
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