Maximilian I. von Österreich verlor als achtjähriger Junge seine geliebte Mutter. Wahrscheinlich an einem Magen-Darm-Infekt, das war im Mittelalter eine häufige Todesursache. Ab da wurde er von strengen Lehrern erzogen. Das Kind sollte körperlich abgehärtet werden und lernen, praktisch zu urteilen. Es wuchs ohne Spaß auf. Vier seiner Geschwister starben im Kindesalter, nur eine jüngere Schwester überlebte. Maximilian sehnte sich nach Wärme und Liebe.
1477 heiratete der Kaisersohn die Tochter des burgundischen Herzogs, Maria von Burgund. Nicht, weil er sich in sie verliebt hätte, sondern weil die strategisch denkenden Familien es untereinander so verhandelt hatten. Der nach Liebe und Anerkennung hungernde Habsburger fing gerade an, sein Herz für die flämische Braut zu öffnen, als das Schicksal erneut zuschlug. Eins ihrer drei gemeinsamen Kindern starb noch als Kleinkind. Maria von Burgund selbst hatte einen Jagdunfall, den sie nicht überlebte. Sie war da erst fünfundzwanzig Jahre alt. Somit fiel Maximilian I. die Herrschaft über das burgundische Reich zu.
Er war hochgebildet, aber hart und streng, forderte hohe Steuern und machte sich damit bei den Kaufleuten der stolzen flämischen Handelsstädte nicht beliebt. Es gab daher viel Widerstand. Als er nach Brügge reiste, um einen Aufstand zu unterdrücken, wurde er von den Bewohnern einfach gefangen genommen. Sein Vater musste mit einer Armee anrücken, um ihn kopfschüttelnd zu befreien.
Wie reagiert ein junger Mann, der nie Freude erlebt hat? Der verbittert ist und sich nach Liebe sehnt? Der von seinem Vater nie für voll genommen wurde? Wie reagiert dieses verletzte Kind?
Es verbietet erst mal alle Jahrmärkte und Kirmessen per Gesetz. Er verbietet Spaß, Freude und Feste.
Die Einwohner von Brügge konnten so ein lächerliches Gesetz nicht akzeptieren. Sie steckten die Köpfe zusammen und überlegten, wie sie ihren Herrscher umstimmen könnten. Konnte man dem eiskalten Österreicher denn gar keine Freude machen? Also organisierten sie ein besonders ausgelassenes Fest. Sie verkleideten sich als Narren und tanzten durch die Straßen, wobei sie versuchten, dieses blasse Kind ein wenig zu erheitern. Sie wollten ihm zeigen, dass das Leben auch freudvoll sein kann, dass man nicht alles todesernst nehmen sollte. Am Ende des Festes baten sie nochmal inbrünstig darum, ihnen doch wenigstens die Jahrmärkte zu lassen, und ach ja, ein neues Irrenhaus bräuchten sie auch noch, denn manchmal wurde es einfach zu doll.
Maximilian war müde. Er war ein 29-jähriger Greis. Er reagierte mit einem Satz, der in die Geschichte eingegangen ist. Schließt einfach die Tore dieser Stadt, dann habt ihr euer Irrenhaus.
Seitdem werden die Leute aus Brügge auch schon mal die zotten genannt, die Narren. Bis heute nennen sie sich gerne selber bei diesem Namen. Und um diese Tatsache zu würdigen, braute eine Brauerei das Bier Brugse Zot.
Ich spreche mit Anne. Sie ist die Brauereitochter. Die Familie Maes-Vanneste führt das Unternehmen Halve Maan in sechster Generation, seit 1856. Anne zeigt mir die alte Brauerei, wo Malz hergestellt und geröstet wurde, getrocknet. Der Hopfen wurde zugesetzt, die Hefe, das Bier entstand. Ich bin sprachlos, der Zauber ist hier so nah, so greifbar. Schmale Treppen führen in dem alten, verwinkelten Gebäude hoch zum warmen Speicher und hinunter in den kühlen Keller.
Anne zeigt die Behälter, in denen sich das Bier jetzt befindet. Man kann auf dem Dach zwei davon sehen, mehr geht nicht, wir befinden uns mitten in der Innenstadt von Brügge, hier herrschen strenge Regeln fürs Straßenbild. Die weiteren Behälter sind versteckt. Sie fassen insgesamt 320.000 Liter Bier.
Man braucht ziemlich viel Platz, um diese Produktion abzufüllen. Es werden 24.000 Flaschen pro Stunde abgefüllt, in einer Anlage, die außerhalb der Stadtmauern liegt.
Um zu vermeiden, dass schwere Tankwagen voller Bier durch die schönen kopfsteingepflasterten Straßen rumpeln, und eigentlich auch, weil es originell ist und Spaß macht, hat man 2016 eine Bier-Pipeline angelegt. Sie ist 3,2 km lang, führt Bier von der Brauerei bis zur Abfüllanlage und liegt an manchen Stellen bis zu 37 Meter tief unter der Erde.
Ein Crowdfunding-Projekt hat diese Pipeline mitfinanziert. Man konnte ein Stück kaufen, dafür bekommt man gratis Bier, ein Leben lang.
Österreichische Biere kann man nicht aussprechen oder man kann sie nicht trinken.
Kaiser Maximilian I. hätte eigentlich erfahren sollen, was die Narren aus Brügge im 21. Jahrhundert so treiben. Vielleicht hätte es ihm letztendlich doch gefallen. Er hat zwar nach dem Tod seiner Frau ca. vierzehn weitere Kinder gezeugt, aber nicht wirklich Spaß gehabt. Sogar sein Totenbild sieht verbittert, eingefallen, mickrig aus. Hätte der Kaiser doch nur Brugse Zot kennenlernen dürfen, das so wohlschmeckend für heitere Laune sorgt, hätte er doch nur gesehen, wie man seinen Ausruf über die Narren umgesetzt hat, vielleicht hätte er dann ein bisschen mehr Freude gekannt. Aber dort liegt er, still und stur in seinem monumentalen Grabmal in Innsbruck, von ihm persönlich entworfen.
Die Führung ist vorbei, ich sitze in der Brauerei am Kamin, in einem tiefen Ledersessel. Die jährliche Bierproduktion hier beträgt 7 Millionen Liter. Es regnet, und ich will nirgendwo anders sein. Hier will ich sein. In diesem Moment. Vielleicht werde ich doch noch Biertrinker. Der eloquente Kellner bringt mir ein schönes Glas, das Logo besteht aus einer Figur mit einer rot-grünen Narrenkappe. Ich betrachte die goldene Flüssigkeit, die perfekte Schaumkrone.
Ich trinke blühenden Hopfen.
Ich trinke goldene Gerstenfelder im warmen Sommerlicht.
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