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Das Entenglas

Es war nur ein ziemlich kitschiges Glas. Für mich bedeute es jedoch Kindheit und Willkommen sein. Meine Großeltern vätterlicherseits lebten in Rheinland-Pfalz. Gebürtig stammten sie aus Ostpreußen. Mein Vater wurde in Sensburg geboren. Diesen Ort kann man heute so gar nicht mehr auf der Karte finden. Nach dem 2. Weltkrieg kam die Familie Schellong in einen kleinen Ort in der Nähe von Mainz. Es sind die einzigen Schellongs die ich je kennen gelernt habe. Letzte Woche ist meine Oma gestroben. Sie war eine unglaubliche Frau, aber ihren letzten Kampf konnte auch sie nicht gewinnen. Ich glaube die Menschen werden heute nicht mehr so stark geboren. Wenn wir sie besuchten, kochte sie immer Kartoffelsalat, (preußischen mit Mayo, nicht wie die Bayern ihn essen) und ein Fleischgericht namens Schaukler. Wie selbstverständlich stand dann für mich das Entenglas am Tisch bereit. Es tat gut zu wissen, dass da etwas auf mich wartet. Irgendwann hat meine Oma mir das Glas mitgegeben. Leider hat es in meinem Besitz nicht mal ein Jahr überlebt. Meine Familiengeschichte ist väterlicherseits etwas vertrackt. Ich wiederhole hier meine Meinung, dass ich zuviel Informationen, wenn man sich nicht kennt, eher unangebracht finde. Mein Vater ist seit ein paar Jahren tot. Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich von der H. Schellong-Linie die letzte Nachkommin bin. Und jetzt ist auch meine Oma für immer weg. Mit meinen übrigen Verwandten in Rheinland-Pfalz verbindet mich nicht mehr, als mit Menschen mit denen ich zufällig einen Bus teile, was sie ganz genau so sehen. Dabei ist es doch so wichtig zu wissen woher man kommt. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Vater nie richtig Bodenkontakt im Leben aufnehmen konnte, da ihm ein großer Teil seiner eigenen Herkunft gefehlt hat. Am Wochenende war hier in Hamburg der Tag des offenen Denkmals. Das ist für mich als Historikerin wie für andere der Sommerdom. Während es an manchen Orten in der Stadt recht eng wurde, war am Friedhof Ohlsdorf übersichtlich wenig los. Ich meldete mich für eine Führung an. Es ging um die Gräber der Deserteure und die der Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Wie ich in dem tollen Rundgang von Herrn Senenko vom Grünen Saal erfuhr, kämpft man dort schon länger für die Aufnahme aller Opfergruppen und Gedenkstelen, oder andere Zeichen die symbolisieren, dass Geschichte eben immer mehr ist als nur eine Seite der Medaille. Es waren 15 Leute für die Führung angemeldet. Gekommen sind 8. Ich war mit Abstand die jüngste. Warum ist das so? Als meine Oma von der Zeit in Ostpreußen erzählte, und dass ihre Mutter morgens die Kühe versorgt hat, während sie ihre Schwester fertig machte, hing ich an ihren Lippen. So weit schien dieses Leben vom meinem entfernt. Heutzutage ist der Krieg in Deutschland lange vorbei. Historisches erreicht die Leute noch weniger als Hermes Packete. Vielleicht haben sie ja alle Zugang zu ihrer eigenen Geschichte, denke ich, und müssen daher nicht mehr auf die Suche danach gehen. Wenn man mich fragt, ich finde Geschichtsverdrossenheit ist noch schädlicher als Rauchen. Als ich vor den Gräbern der Kinder der Zwangsarbeiterinnen stand, die allesamt mit wenigen Wochen, oder Monaten verstarben, weil man sie schlicht weg sich selbst überließ, ging es mir ählnich wie damals in Auschwitz: Ich bekam Beklemmung. Es ist ein hoffnungsloser Ort, an dem die Zukunft begraben liegt. Noch schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass es keinen intressiert. Begräbt man dadruch die Opfer nicht noch tiefer? Mein Vater war auch ein Säugling von wenigen Wochen als meine Oma in sein Leben trat und ihn versorgte. Er hatte plötzlich eine Gegenwart und auch eine Zukunft. Sonst hätte es mich nie gegeben. Dafür bin ich meiner Oma unendlich dankbar und das werde ich nie vergessen! RIP H. Schellong

PS: Es soll jetzt bald einen Gedenkstein im Garten der Frauen für die toten Kinder geben. Er erinnert an die Form der Zauberwürfel





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