Der alte Mann mit Stock tastet sich langsam und vorsichtig durch die schmalen Gänge bis ganz hinten an die Theke. Er will seine vorbestellten Mini-Mozzarella abholen, für die Antipasti, wenn die Tochter später zu Besuch kommt. Er kauft noch Oliven und wird dabei von einer kleinen, uralten Frau abgelenkt, die sich neben ihn hinstellt und ebenfalls eine Bestellung abholen möchte.
Die Käsefachverkäuferin reicht ihr die Tüten, es sind drei Stück, die Kundin kann sie kaum bewältigen. Der Mann hilft ihr, legt dafür seine Bestellung wieder ab, stellt seinen Stock gegen einen Stapel Milchkartons. Die beiden bleiben dort vor der Theke noch stehen und erzählen einander, wie es den Kindern geht, und dem Gianmaria, der doch aus dem Dorf weggezogen ist und im Fernsehen war. Die anderen Kunden versammeln sich links und rechts von ihnen, sie kaufen Käse und Oliven, beteiligen sich an der Diskussion, auch die Verkäuferin mischt sich ein, bestätigt die Geschehnisse, schneidet mit dem großen Messer links und rechts dicke Stücke Käse ab, wiegt ab, verpackt und verteilt, wünscht allen buona giornata.
Etwas später stehe ich an der Kasse und habe vergessen, le melanzane abzuwiegen. Die Auberginen. Ich gucke hinter mich, sehe die Schlange. Mi dispiace, versuche ich eine Entschuldigung, aber die Kassiererin fängt schon laut zu diskutieren an. Ein junger Mann in der Schlange ruft etwas zurück, was ich nicht verstehe, kommt zur Kasse, nimmt meine Auberginen und bahnt sich einen Weg zur Obstabteilung, um sie dort zu wiegen. Er ruft über die Regale hinweg quale numero? Wunderbare Sätze fliegen durch das Geschäft hin und her, die ganze Warteschlange gestikuliert und kommentiert, Hände bewegen sich in der Luft, man macht Platz für den Helden der Auberginen. Er reicht sie mir zurück, abgewogen, prendi, fresca.
Jetzt erst mal einen Kaffee. Gegenüber vom Supermarkt sitzen Leute auf Holzstühlen, sie reden, als müssten sie ein neues Parlament wählen. Ich trinke Espresso Macchiato, versuche, noch etwas Italienisch zu lernen dabei. Es ist nicht die beste Zeit dafür, mit den Gesichtsmasken kann man die Mimik kaum erkennen, so kann man keine Sprache richtig lernen.
Ich bin in Sizilien, in einem kleinen Dorf an der Küste, wo es nach Kräutern und Salz riecht. Wo die Städte warme Farben haben, schmale Straßen, viele kleine Plätze mit alten Männern drauf und viele Kirchen. Wo man in den Dorfläden nicht an der Theke zahlen kann, sondern an der Kasse, die darin besteht, dass eine Oma an einem Tisch hinter einer Plexiglasscheibe sitzt und abrechnet. Wenn sie nicht mehr richtig sehen kann, sitzt sie nur so dort, nickt, grüßt. Ab und zu scheint sie vor sich hin zu dösen, aber sie kriegt dennoch alles mit. Sie gibt ihren Kommentar ab, und oft entsteht im Laden eine lebhafte Diskussion zwischen den Generationen. Opas sitzen meistens nicht an der Kasse, das Geld wird ja von den Frauen verwaltet, sondern einfach draußen vor der Tür, sie bewachen die Straße, rufen ab und zu einen Kommentar hinein. Sie sitzen aber nie lang alleine dort, es sammelt sich sofort eine kleine Gruppe. Die wackeligen Stühle stehen alle 1,5 Meter auseinander.
Am Strand ist unverkennbar die Hauptsaison vorbei. Es stehen noch hier und da Holztische und Stühle im Sand, einige Strandbuden haben improvisierte Terrassen. Dort sitzen Leute mit langen, sonnengebleichten Haaren und Shorts, Flipflops an den gebräunten Füßen. Sie sehen aufs Meer und warten auf Wind, aus dem Surfladen kommt Reggae-Musik. Einige Mischlingshunde laufen hin und her über die Terrasse, sie sind freundlich und werden oft gestreichelt. Sie scheinen zu lächeln. Vielleicht bekommen sie Kekse zu fressen.
Auf einem Stück versandetem Rasen liegen die Kites fertig, der Wind wird heute Nachmittag aufkommen. Das Wasser ist hier untief, perfekt zum Üben.
Warst du schon mal dort oben, auf dem Berg? Da ist eine unfassbar schöne mittelalterliche Stadt, mit einer Burg, alten Kirchen und wunderbaren Straßen und Torbögen. Von der Burg aus kannst du das Meer sehen und die ganze Welt, sagt ein Mann, der Mate-Tee mit einem Bambusröhrchen aus einem Edelstahlbecher trinkt. Er hat tiefblaue Augen und dunkle, wilde Haare.
Er hat hier am Strand ein Häuschen gemietet und freut sich jeden Tag, dass er rausgehen und das Wasser sehen kann. Tee trinken und auf Wind warten. Kiten. Er wohnt in Mailand, hatte im Sommer eine Covid-19-Infektion, es gab den Lockdown und er durfte vier Wochen lang nicht aus seiner Wohnung. Das möchte er nie wieder erleben, sagt er. Er sei letzte Woche hierhin gekommen, als ein neuer Lockdown in der Luft hing. Ich konnte ihn schon riechen.
Nach einer Weile meint er, er werde einfach auf der Insel bleiben, er hätte ja den Laptop dabei. Hier werde er den Winter über arbeiten, bis sich die Lage in der Stadt wieder entspannt habe. Die Wohnung in Mailand könne er eigentlich vermieten jetzt.
Er sieht mich an, ich habe selten solche blaue Augen gesehen.
Nein, ich war noch nicht auf dem Berg, antworte ich zögernd, werde es aber tun. Ich fahre jetzt da hin, es gibt eh keinen Wind. Die Sonne scheint, es gibt einige freundliche Wolken, die Sicht sollte gut sein heute. Ich sehe mir dann mal die Welt von oben an.
Er trinkt seinen Tee und nickt, ja, tu das. Denn sie ist so schön, diese Welt.
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