Es gibt eine Stadt im Sumpf, sie wird Horeburg genannt. Hore bedeutet Sumpf oder Moor. Die Stadt lebt davon, dass sie an einem Flussarm einen Hafen hat und einen gut funktionierenden Fährbetrieb. Sie wurde ziemlich ausgebeutet, sowohl von Hamburg wie auch von Lübeck. Und von Napoleon.
Der hat dafür gesorgt, dass in nur 100 Tagen die erste Brücke von Harburg nach Wilhelmsburg errichtet wurde. Diese Brücke hat für einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt. Aber ohne Weiteres geht so etwas natürlich nicht. Es wurden hohe Abgaben verlangt, es gab Zwangsausweisungen und Zwangsarbeitseinsätze.
Ich forsche gerade, was mich in Harburg erwartet, denn da werde ich diesen Monat meinen Schreibplatz haben. Ich gehe raus und spaziere im Wind, im Regen, im strahlenden Herbstlicht, perfekt für Fotos, über die Deiche.
Es gibt viele Bauprojekte, einige leerstehende Häuser, eine Rollbrücke, einen Hafenkran. Es gibt Rosi und ihre Kneipe, das Harburger Fährhaus, das schon im 19. Jahrhundert ein berühmtes Ausflugsziel war.
Also der Hafen war gut für den Fährbetrieb. Und gab es auch Industrie? Beim Herumspazieren fällt mir auf, es ging hier vor allem um Gummi und Öl.
Ab 1806 gehörte Harburg zu Preußen und diente als Hafen für Hannover, aber Hannover kapitulierte kurz danach. Dafür durfte Harburg sich ab dem 1. Januar 1811 zum Département des Bouches de l’Elbe zählen. Wie schade, dass es den Namen nicht mehr so gibt. Dort wäre ich gerne hingefahren. Les Bouches de l’Elbe, ich denke an flanierende Damen mit Hut und Herren mit Spazierstock, die Landschaft ist schön, die Elbe ruhig, es gibt Deiche und Boote, Monet reibt sich die Hände.
Mir fällt auf, dass es wenig Leute auf der Straße gibt, komisch für einen Donnerstagnachmittag. Wenig Geschäfte, viele Gaststätten. Wo sind die Bewohner hin? Fährt hier jeder nach Hamburg?
Hamburg wurde 1806 von Frankreich besetzt und die Kontinentalsperre wurde aufgelegt. Es gab keine Verbindung mit England mehr, der Handel kam zum Erliegen. Die Stadt litt unter der französischen Besatzung. Es wurden komplette Gegenden abgebrannt, wie auf dem “Hamburger Berg”, um für freie Sicht zu sorgen. Auch die Glacis erzählen etwas über die freie Schussbahn. Napoleon hatte das Silberdepot der Hamburger Bank beschlagnahmt: „Ich ziehe es vor, die Hamburger zahlen zu lassen. Das ist die beste Art, Kaufleute zu bestrafen“ so der große Franzose, der für seine Gradlinigkeit und brillante Strategie berühmt war.
Hamburg verlor einen großen Teil der Bevölkerung und das ganze Stadtbild wurde umgestellt, die Kirchen wurden zu Stallungen und Zeughäusern umfunktioniert. In Zeughäusern werden keine Kinder gezeugt, sondern das Wort hat etwas mit dem “Zeugs” zu tun, Munition und sonstiges wurde dort gelagert.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Innovationen der französischen Herrschaft nach der Beendung davon wieder rückgängig gemacht wurden. Der Code Civil und die damit verbundene juristische Gleichstellung aller Bürger wurde aufgehoben, die alte Ständeordnung trat wieder in Kraft. Die Verwaltung der Franzosen, die sehr effizient war, wurde abgeschafft. Und die Infrastruktur? Der hölzerne Bohlenweg von Hamburg über die Elbinsel Wilhelmsburg nach Harburg wurde abgerissen; die von den Franzosen gebauten Straßen wurden vernachlässigt.
In keiner anderen deutschen Stadt verlieren Verkehrsteilnehmer mehr Zeit im Stau als in Hamburg, jammert die Welt. Und dann wird Stefan Aust ganz poetisch: Hamburg nennt sich gerne “Tor zur Welt”. Doch die Pforten der Hansestadt ächzen seit Jahrzehnten in ihren Angeln, öffnen sich für Stunden nur spaltbreit – und oft genug gar nicht mehr.
Es gefällt mir, wie er das beschreibt. Man sieht so richtig die Burg dort am Wasser, mit den Toren nur einen Spalt auf. Der Bau neuer Autobahnen, so weiß die Welt, wird von terrorisierenden Hasel- und Fledermäusen verhindert.
Napoleon, der auf der verlassenen vulkanischen Südatlantik-Insel Santa Helena letztendlich den Löffel abgab, kam erst 17 Jahre später auf seine gewünschte letzte Ruhestätte an den Ufern der Seine. Er liegt dort ruhig in Paris im Invalidendom und dreht sich in seinem Grab einfach noch mal um.
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